Miteinander ins Gespräch kommen und Pläne schmieden für gemeinsame Ausfahrten
ROTHENBURG – Es lebe der Stammtisch. Mit dem Auto oder zu Fuß kamen Motorradfreunde am Freitagabend in die „Post“, die alle Spaß am Motorradfahren haben und Geselligkeit unter Gleichgesinnten schätzen. Die Treffen sollen regelmäßig stattfinden: jeden dritten Freitag im Monat, immer ab 19 Uhr und immer im selben Lokal.
Man kennt sich mehr oder weniger, und man lernt sich kennen. Einheimische und Zugereiste sind darunter, Berufstätige, Rentner, Sportliche mit PS-starken Maschinen oder Liebhaber leichtgewichtiger Modelle, die zu gelassener Entschleunigung des Alltags verführen. Claus und Caro Christmann haben sich vor fünf Jahren bei einem Oldtimertreffen im hessischen Flieden kennengelernt. Die Rothenburgerin fuhr ein MZ-Kraftrad und veranlasste den Thüringer zu der erstaunten Frage, wieso eine Fränkin ein Modell aus der ehemaligen DDR fährt. So kamen beide ins Gespräch und stellten viele Gemeinsamkeiten fest. Der gelernte Maurer zog nach Rothenburg und fand eine Anstellung bei einem Baugeschäft in Leutershausen. Mit seiner Herzdame ist er inzwischen verheiratet.

Die Altersunterschiede am Motorrad-Stammtisch spielen keine Rolle. Foto: Schäfer
Am Stammtisch saß auch ein gebürtiger Rheinländer. Der 67-Jährige zog vor knapp vier Jahren mit seiner Frau nach Rothenburg. Durch seine berufliche Tätigkeit als Steuerberater hatte er seit Anfang der 70er Jahre regelmäßig in der Stadt zu tun. Mit Beginn des Rentenalters verkaufte er seine Kanzlei in Neuwied und baute im Rothenburger Dichterviertel ein eigenes Haus. Einer seiner Nachbarn ist ein ehemaliger Studienkollege, der ihm den Tipp mit dem schönen Bauplatz gab. Nach drei Tagen Bedenkzeit fiel die Entscheidung: „Wir haben sie bis heute nicht bereut“. Seine Frau war 32 Jahre Leiterin eines Kindergartens und schreibt jetzt Kinderbücher. Die Eheleute fahren Motorrad und Cabrio, sind aber auch gern zu Fuß unterwegs.
Zu den Jüngsten mit am Tisch gehörten Lena, eine 24-jährige Restaurantfachfrau, und ihre beste gleichaltrige Freundin Carolin. Die Industriemechanikerin arbeitet bei Mekra Lang in Ergersheim. Das Motorradfahren ist fester Bestandteil in ihrem Familien- und Freundeskreis. Manfred Schöller (67) aus dem kleinsten Neusitzer Ortsteil Erlbach hat von dem Stammtischtreffen durch die Ankündigung in der Lokalzeitung erfahren und war neugierig auf die Runde. Er hat erst mit fünfzig Jahren seinen Motorradführerschein gemacht. Familie, der landwirtschaftliche Betrieb mit Biogasanlage und sein langjähriges Engagement als Gemeinderat ließen ihm wenig Zeit für Hobbies. Die Entlastung durch den Sohn eröffneten ihm Freiräume für ausgedehnte Motorradtouren mit seiner Frau. Alte Bekannte von ihm sind inzwischen vom Motorrad aufs Fahrrad umgestiegen.
Aus der Zeitung erfuhr auch ein Rothenburger Jungrentner von dem Stammtisch. „Ich wollte mal schauen, ob man gemeinsam etwas planen kann“, sagte er. Im letzten Jahr fuhr er mit dem Motorrad nach Südfrankreich und Spanien bis San Sebastian. Jetzt ist auch seine Frau in Rente. Mit ihr gemeinsam plant er im Januar eine große Tour von Namibia nach Südafrika.
Die einen fahren ihr Motorrad auch, wenn mausgraue Wolken am Himmel hängen, die anderen haben es schon fein säuberlich gewienert winterfest in der Garage verstaut und warten auf den nächsten Sommer. Das Motorrad ist für sie der Inbegriff der Freiheit. Man fühlt sich an nichts gebunden, kann aufsitzen und davon fahren. Nur der Fahrwind bläst einem ins Gesicht. Nichts ist um einen herum gebaut.
Große Filme belegen selbst in der jüngeren Vergangenheit auf eindrückliche Weise, welche Symbolik dem Motorrad stets zugeschrieben worden ist. Etwa bei einer Verfolgungsjagd im „Terminator II“ mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle. Ein moderner Roboter reist aus der Zukunft in die Gegenwart zurück, um den jungen John Connor, der einst in der Zukunft der vermeintliche Retter der Menschheit sein soll, zu retten. Der Motorradfahrer befreit das vermeintliche Opfer.
Eines der schönsten filmischen Exemplare, welche das Motorrad als Symbol der Freiheit darstellt, liefert die Flucht des Kriegsgefangenen Captain Virgil Hilts, gespielt von Steve McQueen, im Film „Gesprengte Ketten“ aus dem Jahre 1963, der den Massenausbruch aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit. Nachdem es Captain Virgil Hilts geschafft hat, mit zahlreichen anderen Gefangenen auszubrechen, muss er sich, so will es der Plan, alleine durchschlagen. Dabei gelingt ihm auf der Flucht aus Deutschland, der deutschen Wehrmacht ein Motorrad zu stibitzen. Auf dem Weg in die rettende Schweiz überquert er dabei ungehindert Feld und Wiesen, springt mitunter waghalsig über eine Grenzabzäunung der Nazis.
Der Film „Easy Rider“ aus dem Jahre 1969 mit Peter Fonda und Dennis Hopper symbolisiert den Ausbruch aus der kleinbürgerlichen Wertewelt und die Befreiung von deren Zwängen. Die beiden Helden, als drogendealende Hippies dargestellt, die frei und friedlich durchs Land zogen, passten dem konservativen Bürgertum nicht. Sie wurden von den Bürgern angegriffen und schließlich sogar grausam umgebracht. Der Film basiert ebenfalls auf einer wahren Begebenheit. In den 60er Jahren waren zwei Motorradfahrer in den Südstaaten grundlos ermordert worden, einfach weil es Motorradfahrer waren und die wohl nicht ins kleinbürgerliche Wertebild passten. Nicht umsonst ist „Easy Rider“ auch heute ein Kultfilm. sis