Erwin Bauer verhilft der Krim mit Vortrag zu einem positiven Imagewechsel
ROTHENBURG – Vorstellung und Wirklichkeit driften bei vielen Dingen auseinander. Nicht anders ist es etwa bei Flecken auf der Landkarte, die man nur aus den Medien kennt. Erwin Bauer gelang es mit seinem Vortrag im Hotel „Schranne“ das Bild von der Krim, das die rund 40 Zuhörer bislang von der Halbinsel zwischem dem Schwarzen und dem Asowschen Meer hatten, zu schärfen und zu ergänzen.
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Natalia Fomina mit Deutschland-Flagge bei den Feierlichkeiten zum 5. Jahrestag des Krim-Referendums. Foto: privat
Der Neusitzer Finanzexperte mit einem schier unstillbaren Interesse an Russland entführte an dem vom Städtepartnerschaftsverein organisierten Abend zunächst auf eine kurze Reise durch vergangene Jahrzehnte. Denn die aktuelle Situation eines Landes ist immer im Zusammenhang mit seiner Geschichte zu sehen. Als 1957er Jahrgang bezeichnet er sich selbst als „Kind des Kalten Krieges“ , das mit den Schlagworten „Ostverträge“ und „Nato-Doppelbeschluss“ aufgewachsen ist.
1991 kam dann ein einschneidendes Jahr – weltpolitisch wie persönlich für Erwin Bauer. Er nahm an der zum ersten Mal durchgeführten Bürgerreise nach Susdal teil, da er „keine Ahnung von Russland“ hatte. Man sei mit Reiseleiterin Irmgard Gruber durch die Absperrungen des Putsches gefahren, der vier Wochen zuvor stattgefunden hatte, erinnert er sich.
Ebenso im Gedächtnis ist ihm der krasse Gegensatz zwischen dem kulturträchtigen Moskau (Kirchenkonzert und Staatszirkus) und Susdal mit seinen „katas-trophalen sanitären Bedingungen“ geblieben. Bei der Darbietung russischer Lieder durch eine Folkloregruppe am letzten Abend habe er Gänsehaut bekommen. „Da ist der Funke übergesprungen“, sagt er.
Zusammenbruch eines Systems
1991 ist in der Sowjetunion ein ge-samtes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zusammengebrochen. „Nichts hat mehr funktioniert“. Die Infrastruktur in allen Bereichen war kaputt. Mit Konvois hat man von Rothenburg aus versucht, zumindest die größte Not zu lindern. Seit 1999 unterstützt man bedürftige Bewohner Susdals mit Geldspenden.
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Referent Erwin Bauer
2001 kam es, laut Erwin Bauer, zum nächsten einschneidenden Ereignis für Russland: Wladimir Putin wird Präsident. Er sei ein „Segen für das Land“, so der Finanzexperte, da es seit seinem Amtsantritt aufwärts gehe – zwar langsam, aber in die richtige Richtung. Allerdings profitiert nicht jeder davon, wie er einräumt. Aber dies ist nun mal so im Kapitalismus.
Erwin Bauers gute Beziehungen in die Hauptstadt Moskaus führten ihn 2008 erstmals auf die Krim. Bei einem Zwischenstopp in Kiew suchte er sich einen Taxifahrer, der ihm „seine“ Stadt zeigen sollte.
Neben den Sehenswürdigkeiten der ukrainischen Hauptstadt zeichnete er ein recht düsteres Bild von der ehemaligen Sowjetrepublik. Er selbst habe seinen Sohn nach Russland zum Studieren geschickt, weil es in der Heimat keine Perspektive gibt – in einem Land, das über die besten Böden verfügt, wo aber der Großteil der Ernte auf den Feldern verfault, weil die entsprechenden Maschinen fehlen, um sie einzufahren.
Diese nicht vorhandene Zukunftsfähigkeit trug dazu bei, dass sich bei dem 2014 durchgeführten Referendum über den Status der Krim 96,77 Prozent der Abstimmenden (Wahlbeteiligung 83,1 Prozent) für einen Anschluss an Russland aussprachen. Ein weiterer Grund liegt in der ethnischen Zusammensetzung der 2,4 Millionen Bewohner der Krim: 77 Prozent sind Russen, 11 Prozent Krimtataren und 10 Prozent Ukrainer.
In diesem Zusammenhang betonte Erwin Bauer, dass man im Falle von der Krim nicht von einer Annexion sprechen könne. Denn weder fiel auch nur ein einziger Schuss, noch wurde die Krim gegen den Willen der Bevölkerung besetzt. Richtig wäre seiner Ansicht nach deshalb die Bezeichnung Sezession.
Touristisch erschlossen
Auf der Krim – damals eine Autonome Republik innerhalb der Ukraine – waren die Bedingungen nicht viel besser als im Rest des Landes, obwohl zumindest touristisch die Halbinsel gut erschlossen war. Aufgrund des günstigen Klimas, das durch das Krimgebirge (Taurisches Gebirge) im Süden begünstigt wird, zog es nämlich damals schon viele Lungenkranke dorthin.
Im vergangenen August besuchte Erwin Bauer nach zehn Jahren wieder die Krim. Er fand einerseits eine Gesellschaft im Aufbruch vor, die andererseits vor allem unter den Sanktionen des Westens zu leiden hatte. Innerhalb von nur drei Jahren hat man auf der Krim einen Flughafen und eine 19 Kilometer lange Brücke aus dem Boden gestampft, die die Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet.
Turbinen von Siemens
Auch die Stromversorgung, die bislang über die Ukraine lief, musste komplett neu aufgebaut werden. Über fünf Monate hatte Kiew der Insel den Stromhahn zugedreht. Russische Konvois brachten Notstromaggregate auf die Insel. In diese Zeit fiel auch der damals im Westen als Skandal empfundene Verkauf von Siemens-Turbinen an Russland, die in den neu gebauten Stromkraftwerken auf der Krim eingesetzt wurden.
Dass sich Jalta mit seinen 80000 Einwohnern, das auf demselben Breitengrad wie Monaco liegt, als Urlaubsziel besonders gut eignet, haben nicht nur russische Familien seit dem Referendum erkannt. Bereits Tschechow, Tolstoi und Tschaikowski verbrachten eine gewisse Zeit in dem geschichtsträchtigen Ort – und die Romanows hatten dort ihre Sommerresidenz, den Liwadia-Palast.
Dolmetscherin Natalia Fomina stand Erwin Bauer während seines viertägigen Aufenthalts mit Rat und Tat zur Seite. Sie freute sich, dass wieder Deutsche auf die Insel kommen. Denn seit dem Beginn der Sanktionen ist das Land nach Westen hin in gewisser Weise abgeschnitten. So kann etwa der Flughafen auf der Krim nur von Zielen innerhalb Russlands angeflogen werden.
Die Sanktionen des Westens beziehen sich vor allem auf den Finanzbereich und technische Produkte. Russland wiederum schiebt der Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus dem Westen einen Riegel vor. Letzteres führte zu einer interessanten Beobachtung an der Käsetheke in einem Supermarkt auf der Krim: den Platz holländischer Milcherzeugnisse haben dort mittlerweile schweizer „Verwandte“ eingenommen.
Sewastopol, der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte, war seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Streitpunkt zwischen Russland und der Ukraine. Erwin Bauer ist sich sicher, dass Russland allein aus militärstrategischen Gründen alles daran setzen wird, die Krim nicht mehr zu verlieren.
Am vergangenen Wochenende beging man auf der Krim groß die Feierlichkeiten zum 5. Jahrestags des Referendums. Mit dabei auch Natalia Fomina. Als Überraschung stellte Erwin Bauer im Anschluss an seinen Vortrag eine Internet-Telefonverbindung zu ihr her. Sie bestätigte den Zuhörer-ern, dass sich die Krim im Aufschwung befinde und dankte für das Interesse an ihrem Land. mes