Kulturkritik: „Baltic Kwartet“ im Toppler-Theater
ROTHENBURG – Eine Melodie sagt mehr als tausend Bilder, und vor allem lebt sie länger. Manch vormals großer Kinofilm schlummert längst von Staub bedeckt im Archiv, da hört die Welt seine Musik immer noch. Das polnische „Baltic Kwartet“ macht sich das stilvoll zu Nutze.
Als ordentliches Streichquartett verkörpern die vier die vielleicht intimste und beweglichste Besetzung der „Klassik“, prädestiniert für Tonkunst von höchster Verfeinerung, wie nicht nur Beethoven oder Schubert bewiesen. Doch sie eignet sich eben auch vorzüglich, um Herzenstöne zu transportieren.
Die „Filmmusik am Sommerabend“, eine konsequente Ohrwurm-Montage, wimmelte nur so davon. Banal wirkte sie trotzdem nicht. Sie hätte mehr Zuhörer verdient gehabt als die zwei Dutzend, die sich da zur Wochenmitte zum Konzertgang ins Toppler-Theater aufrafften. Die malerische Klosterhof-Bühne gibt auch akustisch eine zauberhafte Kulisse ab.

Das Toppler-Theater bietet auch für Konzerte eine stimmungsvolle Kulisse mit guter Akustik. Foto: Düll
Der auf Englisch mit deutschen Einsprengseln charmant moderierende Tomasz Diakun und Sylwia Kolinska (beide Geige), Bratschist Tomasz Pozorski und Cellistin Kamila Pietrzak geizten jedenfalls weder mit Hingabe noch mit Ensemblequalitäten, sieht man von der Aufwärmphase ab (Musik aus Andrzej Wajdas Film über den polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz).
Sind sie erst einmal auf Betriebstemperatur, dann entwickeln die vier den schmelzigen, ummittelbaren Ton der Zwanziger- und Dreißigerjahre mit salonmusikalischer Stilbewusstheit und einem gewissen Schuss Caféhaus-Wohligkeit Seidig fächerten sie den Jahrhundertsong „Over the rainbow“ auf (dereinst gesungen von Judy Garland im Zauberer von Oz). Hut ab vor Ensemble-Mitglied Tomasz Pozorski für die zartfühlende, erfrischende Bearbeitung dieser tausendfach aufgegriffenen Weise.
Von der Mafia-Saga „Der Pate“ („Love Theme“) bis hin zur Titanic-Titel- Hymne begegnete Klappe für Klappe ein Szenenwechsel prominentester Filmmusiken, darunter ein schmachtend swingendes „As time goes by“ (ganz ohne Klavier, dafür aber mit jazzigem Walking-Bass-Pizzicato auf dem Cello), ein launig-gewitzter „Pink Panther“, ein glitzerndes „Moon River“, „Tea for Two“ als elastischer Cha-Cha-Cha sowie waschechter Tango aus erster Piazzolla-Hand. Das „Baltic Kwartet“ spielte sich in die Herzen der Hörer, und dabei verließ es sich keinesfalls alleine auf die unsterblichen Melodien aus der Filmmottenkiste. Auch die Arrangements hatten ihren Reiz in ihrer nie den einfachen Zauber brechenden Finesse.
Nicht nur am Ende überschüttete die übersichtliche Schar der Besucher die Musiker mit Applaus, so gut sie konnte. Zur Zugabe zelebrierten die vier eine der schönsten Erfindungen Johann Sebastian Bachs: die „Air“ aus seiner dritten Orchestersuite. Auch sie ist ja ein gefragter Filmstar. hd