Quantcast
Channel: Fränkischer Anzeiger
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3488

Giftgas gegen den Holzwurm

$
0
0

Gestühl, Empore und Decke der Friedhofskapelle befallen – Sulfuryldifluorid tötet ab

ROTHENBURG – Mit der großen Keule ist jetzt gegen den Holzwurm in der Friedhofskapelle vorgegangen worden. Eine Fachfirma aus Lauf wendete im Innenraum das sogenannte Altarion-Viklean-Verfahren an, bei dem als Begasungsmittel das giftige Sulfuryldifluorid zum Einsatz kommt.

Friedhofskapelle: Schädlingsbefall im Innern bereitete Sorge. Foto: Weber

Friedhofskapelle: Schädlingsbefall im Innern bereitete Sorge. Foto: Weber

Von Anfang der Woche bis Donnerstag waren die Fenster und Türen in der Friedhofskapelle abgeklebt und das Gebäude war mit Warnhinweisen weiträumig abgeriegelt. Dass auch wirklich niemand „aus Versehen“ hineinkommen konnte, waren vorher zur Sicherheit auch alle Schlüssel eingesammelt worden.

Im Innern der Kapelle ging es mit dem auch für Menschen gefährlichen Gas Sulfuryldifluorid dem Holzwurm an den Kragen. Der hatte sich schon eine ganze Zeit vor allem im Chorgestühl, in der Empore und an der Decke breitgemacht. Zuletzt erreichte der Schadbefall solche Ausmaße, wovon immer mehr der typischen Mehlhäufchen zeugten, dass sich die Stadt entschloss zu handeln.

Vor allem in Kirchen

Sulfuryldifluorid ist hochwirksam, farblos, nicht brennbar, geruchlos und ungefähr dreieinhalbmal schwerer als Luft. Durch den extrem niedrigen Siedepunkt von minus 55 Grad Celcius besteht keine Gefahr der Kondensation an kalten Oberflächen, was das Gas vor allem auch für den Einsatz in Kirchen geeignet erscheinen lässt.

Selbst an den extrem empfindlichen, polierten Orgelpfeifen aus Zink-Blei-Legierungen sind durch das Gas bisher keine Schäden aufgetreten, heißt es. Untersuchungen an historischem Glas, Metallen, Pigmenten, Gold- und Silberauflagen, feuchtem Holz und so weiter hätten unter den genannten Bedingungen ebenfalls keine Hinweise auf Materialveränderungen ergeben.

Umweltstudien zufolge ist das Gas weder krebserregend noch ozonschädigend. Es gilt als Alternative für Methylbromid. Die Toxizität gegenüber Warmblütern ist bei Sulfuryldifluorid um ein Drittel bis zur Hälfte schwächer. Als Anwendungsbereich für das Altarion-Viklean-Verfahren gilt vor allem die Bekämpfung von tierischen Holzschädlingen an überwiegend denkmalgeschützten Bauwerken.

Vor der Begasung werden die befallenen Objekte mit gasdichten Folien abgedichtet. Über Schlauchleitungen wird das Gas aus den Stahlzylindern, welche außerhalb des Gebäudes aufgestellt sind, in den zu begasenden Raum eingeleitet. Nach einer Einwirkzeit von 24 bis 72 Stunden erfolgt die „kontrollierte Lüftung über Absauganlagen“.

Aus für alle Stadien

Umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen an Holzschädlingen haben gezeigt, dass eine Bekämpfung aller Lebensstadien, d. h. Eier, Larven, Puppen und der Käfer erreicht werden kann. Die Wirkung des Begasungsmittels ist hauptsächlich abhängig von der Gaskonzentration, von der Behandlungsdauer und der Temperatur, bei der die Schädlinge behandelt werden.

Zwei Mitarbeiter der auf solche Schädlingsbekämpfung spezialisierten Firma Binker ließen nach den vorbereitenden Arbeiten aus mitgebrachten Behältern das Gas ins Innere der Kapelle strömen. Dort verblieb es zwei Tage, was eigentlich Gewähr dafür bieten sollte, dass die Holzwürmer abgestorben sein müssten.

Eine Freigabe zum gefahrlosen Wiederbetreten der begasten Räume ist bereits innerhalb weniger Stunden nach der Lüftung möglich, heißt es. Aber im aktuellen Fall entschied man sich lieber für einen größeren Abstand. Diesen Sonntag ab 11 Uhr findet in der Friedhofskirche der nächste Gottesdienst statt.

Für die Dauer der Schädlingsbekämpfung waren Trauerfeiern terminlich verlegt worden. Bei einer war das nicht möglich. Bei ihr wurde in das Bestattungsunternehmen Schmid im Steinweg ausgewichen, wo ein gediegener Rahmen für solche Anlässe zur Verfügung steht.

„Wir gehen davon aus, dass sich mit der Begasung das Holzwurmproblem jetzt vollständig und anhaltend erledigt hat,“ zeigt sich Karl Ilgenfritz vom Stadtbauamt überzeugt. Ergänzende Vorkehrungen sind nach seinen Angaben in dem Bereich des Chorgestühls und der Kanzel nicht erforderlich. Lediglich der Dachstuhl muss nächste Woche am Dienstag noch mit einem Spezialmittel besprüht werden. Verglichen mit dem eingesetzten Gas sei das harmlos.

Insgesamt kostet die Schädlingsbekämpfung in der Friedhofskapelle die Stadt voraussichtlich die eingeplanten rund 8700 Euro. Der Auftrag war im übrigen kurz nach der Jahrtausendwende schon einmal vergeben worden. Allerdings kam es nach Angaben des Stadtbauamtes damals bei der Begasung eines Pfarrhauses im Nürnberger Raum durch das in einen bis dahin unbekannten Gang abströmende Gift zu einem Todesfall. Daraufhin sei damals in Rothenburg alles wieder abgeblasen und auf später verschoben worden. -ww-


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3488

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>