Symposium „Rap Rock Recht“ wurde seinem aufklärerischem Anspruch gerecht
ROTHENBURG – Harte Gitarrenriffs, wummernde Bässe und ein Gesang der durch Mark und Bein geht waren am Wochenende nicht nur auf der Eiswiese zu hören, sondern auch in der Johanniterscheune des Mittelalterlichen Kriminalmuseums. Denn die Referenten des ersten Symposiums „Rap Rock Recht“ hatten einige Hörbeispiele mitgebracht, um die Problematik rund um die mögliche Diskrepanz zwischen Kunstfreiheit und Menschenwürde anschaulich darzustellen.
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Bestritten das Symposium (v.l.): Dr. Mustafa Oglakcioglu, Dr. Wolfgang Schild, Dr. Markus Hirte, Dr. Christian Rückert und Dr. Florian Knauer.
Ein rundum positives Zeugnis wurde dieser außergewöhnlichen Veranstaltung von den Besuchern ausgestellt. Nicht nur juristisches Fachpublikum und Journalisten (namhafter Blätter) zog es in die Johanniterscheune, sondern – entgegen einiger Unkenrufe im Vorfeld – auch Vertreter der jüngeren Generation, wenn auch nicht so sehr Zielgruppe des „Gangsta-Raps“.
Die ausschließlich mit Juristen hochkarätig besetzte Riege der Vortragenden schaffte es, die Spannungen in dem Verhältnis von Recht und Musik dem Publikum ohne juristische Fachsimpelei näherzubringen. Was auch daran lag, dass die weite Welt der Musik für sie nicht bloß graue Theorie ist, sondern sie selbst gerade auch die im Mittelpunkt der Tagung stehenden Stilrichtungen privat hören.
Zunächst war es an Hausherr Dr. Markus Hirte, aufzuzeigen, dass bestimmte Themen in der Musik keine Erscheinungen der Neuzeit sind, sondern auf eine lange Geschichte zurückblicken können, etwa die Darstellung von Verbrechen. Im 16. Jahrhundert wurden Nachrichten neben den sich durch den Buchdruck rasant verbreitenden Flugblättern und Pamphleten durch umherfahrende Sänger und Barden übermittelt. Da ihnen meist Bänke oder Tische als Bühne dienten, wurden sie als Bänkelsänger bezeichnet.
Mit dem Aufkommen der Zeitungen, die über die großen politischen Ereignisse rascher informieren konnten, musste sich das Repertoire der Bänkelsänger notgedrungen ändern: „Mord und Totschlag bestimmen immer stärker den Bänkelsang“, erklärt Dr. Markus Hirte. Diese einfachen Jahrmarktlieder über Tragisches und Mordtaten sind als Moritate bekannt. Sie zeichnen sich durch Moralisierungen und das Bemühen um hochgestochene Reflexionen aus. Ein beliebtes Sujet war der Schinderhannes – Rebell gegen Fremdherrschaft und Fürstenwillkür par excellence.
Die Konkurrenz durch Rundfunk, Film und Illustrierte drängten jedoch Bänkelsang und Moritate rasch vom Markt. Erst die modernen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts nahmen sich ihrer an und entkleideten dessen „trivialen Gehalt und dessen Form von allem Ulk und Parodie“, so Dr. Markus Hirte. Berthold Brecht etwa entwickelte die Moritate mit „gezielt und effektiv gesetzten Schockeffekten“ weiter.
Moritate der Gegenwart
Der Leiter des Kriminalmuseums schlug mit Rammstein die Brücke zur Gegenwart. Die sechsköpfige Formation ist eine der umstrittensten deutschen Bands. Grenzüberschreitungen sind für sie Stilmittel. Das bewusste „Kokettieren mit Tabus“, ziehe sich durch alle Alben, erklärt er. Dabei gibt es so gut wie keinen menschlichen Abgrund, dem sie sich noch nicht in musikalischer Weise angenommen hätten. Da das lyrische Ich oftmals im Kontext von Verbrechen stehe, könne Rammstein exemplarisch für die Moritate der heutigen Zeit stehen. Wenn man die lange Geschichte der Behandlung des Verbrechens betrachtet, so Dr. Markus Hirte, könne man „etwas Gelassenheit bei heutigen Grenzüberschreitungen an den Tag legen“. In einer lebendigen Demokratie sei ein gesellschaftlicher Diskurs erfolgsversprechender als das Verbot oder das Damoklesschwert des Strafrechts, ist er überzeugt. Dennoch werden in der Praxis des Öfteren die Gerichte bemüht – meist geht es jedoch nicht zugunsten der klagenden Partei aus.
Gefahr des Reputationsverlusts
„Gangsta-Rapper“ halten sich jedoch mit gegenseitigen Anzeigen vornehm zurück, weil dies sonst einen Reputationsverlust nach sich ziehen könnte, erklären Dr. Mustafa Oglakcioglu und Dr. Christian Rückert in ihrem gemeinsamen Vortrag. Der „Spaß“ hört für sie erst dann auf, wenn Familienmitglieder Zielscheibe von Beleidungen werden.
Egal ob man persönlich diesem Musik-Genre etwa abgewinnen kann, Gangsta-Rap ist Kunst im Sinne des Grundgesetzes, hielten die Referenten fest. Die Kunstfreiheit ist nach Artikel 5 der Verfassung ein schrankenlos gewährtes Grundrecht, das nur von anderen Gütern mit Verfassungsrang eingeschränkt werden kann, etwa der Ehre im Rahmen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Dem Richter obliegt die Aufgabe, die beiden konkurrierenden Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Um etwa festzustellen, ob eine Aussage tatsächlich ehrverletzend war, muss diese aus der Perspektive eines „objektiven, vernünftigen Empfängers“ und nicht aus der des Betroffenen ausgelegt werden, unterstreicht Dr. Christian Rückert. Er und sein Mitreferent sind überzeugt, dass dies stets ein mit der jeweiligen Kunstform vertrauter Empfänger sein muss.
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Mit Bild und Ton wurde das Thema von Dr. Christian Rücker (li.) und Dr. Mustafa Oglakcioglu in der Johanniterscheune veranschaulicht. Fotos: Sensation RED Photography Tim Kiertscher & Jeanette Strobel
Denn darin liegt auch ein wenig der große, teilweise ausufernde Aufschrei um die Textzeile von Kollegah und Farid Bang begründet. Kenner der Gangsta-Rap-Szene würden diese Diskussion als heuchlerisch ansehen. In den Tiefen dieses Genres tummeln sich nämlich viel mehr und viel krassere Textzeilen, die keine gesellschaftliche oder strafrechtliche Reaktion nach sich ziehen, weil sie schlicht und ergreifend nur wenigen bekannt sind – oder aber halt nicht verstanden werden, weil sie auf Englisch sind. Das Unglück für Farid Bang und Kollegah war, dass sie mit der Nominierung und Auszeichnung für und mit dem wichtigs-dten deutschen Musikpreis einen breiteren Bekanntheitsgrad erlangten. Grundsätzlich müsse bei der Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht die Trennung der künstlerischen Einkleidung vom Aussagekern („Was will der Rapper tatsächlich sagen?“) erfolgen, so die Referenten.
Am Beispiel einer Textzeile des Rappers Bushido zeichneten sie die Argumentation des Gerichts nach, die der Klage des damaligen amtierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, nicht stattgab. Dieser sah sich von dem Rapper beleidigt. Das Gericht jedoch legte die vermeintliche Beleidigung als Stilmittel des Vergleichs aus.
Ebenso aufschlussreich war die Gegenüberstellung dieser Textzeile mit dem Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann, das seinerseits ebenfalls medial hohe Wellen schlug. Der ein oder andere Zuhörer mag seine ursprüngliche Meinung darüber durch diesen Griff revidiert haben. Denn die direkten, eindeutigen Beleidigungen in dem Schmähgedicht übtreffen gefühlsmäßig die Aussage des Gangsta-Rap-Textes.
Mit zweierlei Maß messen?
Man musste sich unweigerlich im Stillen für sich die Frage stellen, ob man nicht doch mit zweierlei Maß misst, in der Form, dass man bei manchen strittigen Aussagen ein Auge zudrückt, weil der Adressat ein Despot ist, während man die Aussagen eines Gangsta-Rappers mit entsprechendem Ruf und Gebaren reflexartig und pauschal als unter der Gürtellinie empfindet.
Professor Dr. Florian Knauer wagte in seinem anschließenden Vortrag den Sprung vom nationalen Strafrecht zum Völkerstrafrecht und versuchte die Lücke in der Beziehung von Letzterem zur Musik zu schließen. Diese sei nämlich in der deutschsprachigen Wissenschaft noch nicht in gebotener Weise untersucht worden. Er beschäftigte sich mit einer zweigeteilten Fragestellung. Zum einen wollte er herausfinden, ob und inwieweit Musik ein Mittel zur Begehung von Völkerrechtsverbrechen sein kann. Hierfür schaute er sich den ruandischen Musiker Simon Bikindi näher an. Dieser wurde vom Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda wegen drei seiner Lieder wegen Anheizung zur Begehung von Völkermord angeklagt. Beschäftigt heißt in diesem Fall, dass er sich extra für das Symposium auf den Weg nach Afrika machte, um den Künstler persönlich dazu zu befragen.
Sensibilisieren und einwirken
Andererseits interessierte ihn, in welchem Maße Musik die Öffentlichkeit für Völkerrechtsverbrechen sen-sibilisieren und auf diese Weise der Begehung weiterer Völkerrechtsverbrechen entgegenwirken könne. Hierfür betrachtete er die amerikanische Band „System of a Down“, deren Mitglieder allesamt armenische Wurzeln haben, – und dabei insbesondere den Frontmann Serj Tankian.
Ein Kritikpunkt von Dr. Florian Knauer an der bisherigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema betrifft den alleinigen Fokus auf die Texte der zur Disposition stehenden Lieder. Er spricht sich dafür aus auch die musikalischen Aspekte genauer unter die Lupe zu nehmen. Zudem ist es ihm ein Anliegen, Schlüsse für die Rechstpraxis daraus zu ziehen. Dieser neue Ansatz hat durchaus das Potenzial Völkerstrafrechtsgeschichte zu schreiben und den internationalen Strafgerichtshof bei seiner Arbeit zu beeinflussen.
Den öffentlichen Festvortrag des Symposiums bestritt Professor Dr. Wolfgang Schild, der im Laufe des Nachmittags auch die Diskussionen im Anschluss an die jeweiligen Vorträge moderiert hatte. Er selbst referierte dann zum Thema „Musikalischer Hexensabbat“. Das verbrecherische Treiben der Hexenleute am Sabbat, als Verehrung des teuflischen Buhlens und meist auch als Tanz mit ihm oder untereinander phantastiert und unter der Folter gestanden, bietet sich in der Kunst für eine szenische Darstellung geradezu an. Neben dem Chorgesang konnte auch die (erotische) Wildheit der Tänzer durch eine entsprechende Musik unterstrichen werden. mes