Ex-Minister Dr. Norbert Röttgen sprach beim Wirtschaftsbeirat Bayern über die Energiewende
ROTHENBURG – Manche Politiker sind schnell weg vom Fenster, wenn sie ihr Regierungsamt verloren haben. Nicht so Dr. Norbert Röttgen. Der einst als Umweltminister für viele zu Unrecht Entlassene, scheint derzeit mit Erfolg an seinem Comeback zu feilen. Als Mann der großen Politik hält er dabei nicht nur bei der Energieerzeugung die kleinen, dezentralen Einheiten für unabdingbar.
Bei seinem Auftritt beim Wirtschaftsbeirat Bayern vor einer vollen Kornschen Kulturhalle machte der CDU-Bundesparlamentarier deutlich, wie mehrfach beispielhaft die Energiewende sei. Zum einen zeige sie, dass die Politik zu einer Systemtransformation fähig sei. Zum anderen laufe sie gegen den Trend einer internationalen Konkurrenz auf immer tieferem Niveau. Eine technologische Führungsposition Deutschlands erscheine möglich. „Wir sind davon abhängig, besser und innovativer zu sein“.
Dabei erinnerte er daran, welch tiefgreifenden Wandel der Abbau monopolistischer bzw. oligopolistischer Strukturen zu Gunsten von dezentralen Einheiten und der Verlagerung von Wertschöpfung in den ländlichen Raum bedeute. Eine solche Systemtransformation brauche einen langen Atem. Erneuerbare Energien müssten erst in die Wettbewerbsfähigkeit geführt werden. Entscheidend werde sein, eine Phase von rund 20 Jahren zu garantieren, in der beide Systeme nebeneinander existierten und zudem das alte dem neuen System Rückendeckung gebe.
Kernkraft sei hingegen nicht zu verantworten, da die Gefahren und Folgen daraus in ihrer zeitlichen Dimension menschliche Vorstellungskraft vollkommen überschritten. Die Katastrophe von Fukushima sei Anlass, aber nicht der Grund für den Systemwechsel hierzulande gewesen. Auch machte Röttgen deutlich, dass die Energiewende mit einem 25-Prozent-Anteil von erneuerbaren Energien beim Strom, mit annähernd 400 000 Arbeitsplätzen und der Halbierung des Preises an der Strombörse bereits jetzt ein großer Erfolg sei.
Es seien acht Kernkraftwerke vom Netz genommen worden, und es werde so viel elektrische Energie wie noch nie in Deutschland produziert. Dass Strom für den Endverbraucher dennoch immer teurer wird, liege am komplizierten und unvernünftigen Umlage-Mechanismus, der verändert gehöre, so Röttgen. Tatsächlich seien die Vergütungen und damit die Erzeugungskosten für erneuerbare Energien enorm gesunken. Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien sei kein Dauerzustand. Ziel sei es, die Vergütungen immer weiter runter zu fahren, bis die einzelnen Energiearten voll wettbewerbsfähig seien. Bei Photovoltaik rechnet Röttgen schon in zwei Jahren damit.
Die Energiewende hält der frühere Bundesumweltminister für einen Exportschlager. Wenn Deutschland beweise, dass sich auf diese Weise wirtschaftlicher Erfolg und ökologische Nachhaltigkeit verbinden ließen, dann würden China und die Schwellenländer dem nacheifern, zeigte er sich überzeugt. Keinen Zweifel ließ er daran: Für sechs Milliarden Menschen auf der Welt könne es kein Modell sein, nukleare Müllberge und Kohlendioxid in klimaschädlichem Ausmaß zu produzieren. „Das hält dieser Planet nicht aus“, sagte Dr. Norbert Röttgen, der anschließend noch Fragen aus dem Publikum beantwortete. Dabei widersprach er der Sicht eines Besuchers. Die Energiewende sei kein Aussetzen der Marktwirtschaft, wie dieser meinte, denn schon vorher habe es auf dem Energiesektor keine echten marktwirtschaftlichen Verhältnisse gegeben, so Röttgen.
Die mitunter heiklen Ausformungen der Energiewende in der Praxis thematisierte niemand, obwohl doch gerade ein Windpark nahe Rothenburg für Verbitterung bei Dorfbewohnern sorgt. Die Veranstaltung war relativ frei zugänglich. Einige örtliche politische Aktivisten nutzten dies auch – allerdings in anderer Sache, dem Erhalt von Straßenbäumen.
Vorab schon gab es viel Lorbeer für den prominenten Gast. So sagte Fritz Gempel, der Vorsitzende des Bezirksverbandes des Wirtschaftsbeirates: Er sei froh, dass Röttgen als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages in die allererste Reihe der Politik zurückgekehrt sei. Röttgens Handeln sei „nicht vom schnellen Geld geprägt, das vielleicht aus Russland komme“, sondern von den Werten einer freien und offenen Gesellschaft, so Gempel vor den zahlreichen Besuchern, darunter Vertreter aus Handwerk und Handel, Landwirtschaft und Industrie. Auch das offizielle Rothenburg und das Umland waren mit Oberbürgermeister Walter Hartl samt beiden Stellvertretern, mit Stadträten und Gemeindoberhäuptern bestens repräsentiert. Beim anschließenden „Empfang“ im Foyer bot sich Gelegenheit zum Gespräch mit dem Bundespolitiker, der noch lange für den Dialog zur Verfügung stand.
Der Wirtschaftsbeirat ist ein 1948 gegründeter, branchenübergreifender Berufsverband, der sich selbst als politisch unabhängig beschreibt. Auf Bezirksebene wurde er vor zwei Jahren in Ansbach aus der Taufe gehoben. Sein Fundament sei der Artikel 151 der Bayerischen Verfassung, demnach die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl dienen solle. Dabei bedeute Gemeinwohl das Wohl aller Menschen, auch derer, die keinen deutschen Pass hätten und einschließlich jener Generationen, die erst noch nachkämen, präzisierte Bezirksvorsitzender Fritz Gempel. Zugleich hob er den zentralen Stellenwert regionalen Waren- und Wirtschaftskreisläufe, des Tourismus und der erneuerbaren Energien heraus.
„Die Sparkasse kann Energiewende“, diese Formel prägte Werner E. Thum, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Rothenburg als Mitveranstalter des Abend. Sein Haus habe bereits vor zehn Jahren erstmals eigene Sonderkreditprogramme in diesem Bereich aufgelegt und sei dabei günstiger gewesen als die staatlichen Angebote, stellte Thum die Schlüsselposition seines Instituts bei der Energiewende vor Ort heraus. Auch CSU-Bundestagsabgeordneter Josef Göppel sprach ein Grußwort. Dabei nannte er herkömmliche Kraftwerke „Dinosaurier“, weil sie nur ein gutes Drittel ihrer Kraft in Nutzenergie umwandelten und Abwärme nicht sinnvoll verwerteten.
Mit den erneuerbaren Energien entstünden kleinteilige, autonome Einheiten, die für sich überall agieren könnten und doch weltweit vernetzbar seien, sagte Göppel. Für ihn sind sie die „technologische Entsprechung des Internets und des Computers im Energiebereich“. hd