Manko: Politik und Asylbürokratie bremsen Bemühungen der Wirtschaft um Flüchtlinge aus
ROTHENBURG – Integration gelingt nicht von selbst. Fast siebzig Nationen leben in Rothenburg. In der Bevölkerung haben viele Bürger einen oder mehrere Familienangehörige mit ausländischen Wurzeln. Durch die Zuwanderung von Flüchtlingen ist die Gesellschaft noch vielfältiger geworden. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt kommt in kleinen Schritten voran. Es gibt positive Beispiele.
![In der „Glocke“-Hotelküche: Den tüchtigen iranischen Mitarbeitern von Küchenchef Axel Thoma (2.v.re) und Stellverteter Bastian Niegisch (re) droht die Abschiebung. Fotos: sis]()
In der „Glocke“-Hotelküche: Den tüchtigen iranischen Mitarbeitern von Küchenchef Axel Thoma (2.v.re) und Stellverteter Bastian Niegisch (re) droht die Abschiebung. Fotos: sis
Die einen suchen Arbeitskräfte, die anderen einen Job. An gutem Willen fehlt es nicht. Doch die Realität ist eben kompliziert. Welche Zugangsmöglichkeiten und Bedingungen am Arbeitsmarkt für geflüchtete Menschen bestehen, hängt maßgeblich von ihrem aktuellen Aufenthaltsstatus ab. Anerkannte Asylbewerber, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen positiven Bescheid erhalten haben, dürfen grundsätzlich uneingeschränkt als Beschäftigte arbeiten. Ist nur ein Abschiebeverbot festgestellt worden, entscheidet die Ausländerbehörde, ob eine Genehmigung zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt wird. Asylbewerber aus Ländern, die von der Regierung nicht als unsicher eingestuft werden, bekommen so gut wie keine Arbeits- und Ausbildungsgenehmigungen mehr. Eine Anweisung des Bayerischen Innenministeriums. Betroffen davon sind beispielsweise Afghanen, Pakistaner und Nigerianer. Nicht nur für die betroffenen Flüchtlinge ist das verhängte Arbeitsverbot ein Nackenschlag. Auch für die ehr-enamtlichen Betreuer des Arbeitskreises Asyl, die ihre Freizeit opfern, um Integrationsmaßnahmen auf die Beine zu stellen. Bäcker, Metzger, Metallbauer, Bau- und Schneiderhandwerk, Handel, Hotellerie und Gastronomie, Diakonie, Klinikverbund, um einige Branchen zu nennen, wurden von der neuen Linie der bayerischen Regierung überrumpelt. Dabei hieß es: Flüchtlinge müssten sich integrieren, um hierbleiben zu dürfen. Vom Modebetrieb über den Logistikunternehmer, vom Schreiner bis zum Malerbetrieb bemühen sich um ausländische Beschäftigte, weil der Nachwuchs fehlt.
![Mohammad Al Jahed aus Syrien freut sich über die Ausbildung.]()
Mohammad Al Jahed aus Syrien freut sich über die Ausbildung.
Man kann über Fachkräftemangel sprechen und sich darüber beschweren. Oder versuchen, Lösungen zu finden. Die Herausforderung besteht vor allem darin, Flüchtlinge schnell so fortzubilden, dass sie Chancen haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Am besten und am schnellsten lernen sie durch einen Arbeitsplatz oder eine Ausbildung. Hier bekommen sie, was sie sich am meisten wünschen: ein eigenes Einkommen, intensive Sprachpraxis, im besten Fall auch Vorgesetzte und Mitarbeiter als Fürsprecher. Vielleicht sogar einen Chef, der sich einsetzt für ein Aufenthaltsrecht. Es häufen sich die Fälle, in denen Asylbewerber in ihr Heimatland zurück müssen. Das führt dazu, dass die Verunsicherung und Angst bei den Beteiligten wächst. Nicht nur den Flüchtlingen schlagen solche Momente aufs Gemüt. Auch der Asylkreis um Gudrun Knoll-Schäfer kann da nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Warum erhält Afghanistan nicht den Status eines „unsicheren“ Landes? Weil die Politik 13 Jahre lang Milliarden von Euro und Tausende von Soldaten in den Neuaufbau des Landes gesteckt hat? Zurückgeschickt werden vor allem junge Männer. Frauen und Familien dürfen zumeist bleiben. Warum, wenn es dort angeblich sichere Gebiete gibt?
![Werkleiter Kilian Knorr-Held (li) und Mitarbeiter mit Mohammad Abdule (2.v.li) aus dem Irak.]()
Werkleiter Kilian Knorr-Held (li) und Mitarbeiter mit Mohammad Abdule (2.v.li) aus dem Irak.
Auch im Irak ist die Lage weiter angespannt. Das Land ist von der Gewalt gezeichnet. Mit Unterstützung der US-geführten Militärkoalition haben die irakischen Regierungstruppen große Teile der IS-Hochburg zurückerobert. Doch weil eine gemeinsame Zukunftsvision fehlt, könnten Schiiten, Sunniten und Kurden nun untereinander in Konflikt geraten. Das Geschachere um die Pfründe beim Wiederaufbau hat begonnen. Die Aussicht auf Schutz vor Krieg, Hunger, Verfolgung und die Hoffnung auf ein besseres Leben treibt die meisten Flüchtlinge an, ihr Heimatland zu verlassen. Die Fluchtrouten nach Europa sind eine risikoreiche Unternehmung, für die sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Wer als Flüchtling im sicheren Deutschland angekommen ist, den erwartet die Flut an Bürokratie und ein Dickicht an Vorschriften. Die kulturellen Unterschiede stellen nach Angaben der Firmen keine unüberwindbaren Hindernisse dar. Die Sprachbarriere ist das größte Hindernis. Häufig entsprechen die Sprachkenntnisse nicht dem zertifizierten Niveau, und es mangelt am nötigen Fachvokabular. Darüber hinaus benennen die Unternehmen „komplizierte Verfahren“ und „hohe Unsicherheit bezüglich einer möglichen Abschiebung“ als Hindernisse. Nur wenige Flüchtlinge haben in der Heimat Deutschunterricht. Dass nur ein Bruchteil der Flüchtlinge eine Chance bekommt, einen Betrieb an der Hand oder sogar einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen zu haben, hat natürlich seinen Grund. Chefs sehen das Potenzial für Neueinstellungen eher im Bereich der qualifizierten Tätigkeiten und nicht in Hilfstätigkeiten.
![Monica Baudracco-Kastner von der Personalabteilung und Hamid Soltani aus dem Iran.]()
Monica Baudracco-Kastner von der Personalabteilung und Hamid Soltani aus dem Iran.
Zum Teil scheitert die Beschäftigung von Flüchtlingen an fehlenden Papieren. Ein Praktikum oder eine Probebeschäftigung kann Flüchtlingen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Erfreulicherweise hat eine Reihe von Unternehmen konkrete Angebote für Flüchtlinge gemacht. Neben dem betriebswirtschaftlichen Interesse, geeignetes Personal zu finden, nennen Betriebe auch gesellschaftliche Verantwortung als Einstellungsgrund für die Beschäftigung von Flüchtlingen: sowohl in Vollzeit als auch in Teilzeit oder geringfügige Beschäftigungen wie Mini- und befristete Aushilfsjobs. Die von mehreren Rothenburger Firmen gegründete Rothenburger Integrationshilfe bietet eine Informationsplattform für Flüchtlinge. Auf diesem Internet-Portal werden Praktikumsstellen, Ausbildungsberufe und Stellen angeboten. Außerdem können sich hier Unternehmen eintragen lassen, die solche Stellen anbieten möchten. Der Arbeitskreis Asyl ist dankbar für diese verschiedenen Möglichkeiten, denn Integration gelingt am besten durch Qualifikation und Arbeit. Die Flüchtlinge in Rothenburg, um die sich die Ehrenamtlichen kümmern, kommen überwiegend aus dem Iran, Irak und Syrien und sprechen mittlerweile ein ganz passables Deutsch, so dass man sich mit ihnen unterhalten kann, sagt Gudrun Knoll-Schäfer. Die Mehrzahl von ihnen beabsichtigt, in Rothenburg zu bleiben. Untergebracht sind sie im ehemaligen „Bären“ in der Hofbronnengasse. Andere können fürs erste in Wohnungen bleiben, die vom Landratsamt angemietet sind oder haben sich selbst eine Bleibe gesucht. Es ist gar nicht so einfach, Vermieter von einem Vertragsabschluss mit den bleibeberechtigten Flüchtlingen zu überzeugen. Über die Bewohner der Gemeinschaftsunterkünfte in Detwang, Bettwar und Schweinsdorf sowie Leuzenbronn kann Gudrun Knoll-Schäfer keine Aussagen treffen, denn sie gehören nicht zu ihrem Zuständigkeitsbereich. Dass es unter den Flüchtlingen auch Störenfriede gibt, die Unruhe verbreiten und die Polizei einschreiten muss, verhehlt sie nicht: „Diese wenigen Rabauken schädigen den guten Ruf der anderen.“ Anmerken möchte sie noch, dass bei den Sicherheitskräften im „Bären“ auch zwei Frauen tätig sind. „Sie haben keinerlei Akzeptanzprobleme, ebenso wie die beiden jungen Frauen, die im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes mitarbeiten. Abu Haschim, ein Jurist, wird ab August als neuer „Bufdi“ die Arbeit des Asylkreises unterstützen: Kleiderkammer, Sportangebote, Arztbesuche, Formulare ausfüllen, Kontakte mit dem Landratsamt, Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche.
Mohammad Abdule (29) hat in seiner Heimat Irak als Sportlehrer Kinder unterrichtet und lebt mit elf anderen Flüchtlingen in einem Haus in Detwang. Die Zeitarbeitsfirma Randstad hat ihn als Leiharbeiter für Tätigkeiten in der Vorfertigung und im Presswerk von Electrolux eingestellt, wo dringend Produktionshelfer gesucht werden. Mit über 1100 Mitarbeitern aus 28 verschiedenen Nationen ist das Rothenburger Werk nicht nur der größte Arbeitgeber der Region, sondern auch das europäische Kompetenzzentrum für die Entwicklung und Produktion hochwertiger Backöfen und Kochfelder innerhalb des schwedischen Konzerns. Im Gespräch zeigten sich Werkleiter Kilian Knorr-Held, Teamleiter Jochen Habelt und Mitarbeiterin Carina Becker beeindruckt von den guten Deutschkenntnissen des tüchtigen jungen Irakers, der in seiner Freizeit gern ins Fitnessstudio geht. Auch in der „Glocke“, wo internationale Gäste ein- und ausgehen, engagiert man sich für die Integration und den interkulturellen Austausch. Die Willkommenskultur ist fester Bestandteil im Familienbetrieb und wird selbstverständlich gelebt. Zur 40-köpfigen Belegschaft im Hotel und Weingut gehören auch vier Flüchtlinge aus dem Iran, der Küchenchef Axel Thoma und Stellvertreter Bastian Niegisch bei allen anfallenden Tätigkeiten zur Hand gehen. Von der Zusammenarbeit profitieren beide Seiten. Hausherrin Elke Thürauf setzt sich persönlich für die neuen Mitarbeiter ein, die fleißig Deutsch lernen und jeden Tag unter Beweis stellen, dass sie sich integrieren wollen. Doch ihr Verbleib ist ungewiss. Emad (24), Hafez (29), Ali (34) und Abas (38) sind abgelehnte Asylbewerber, die gegen ihren negativen Bescheid Klage erhoben haben und bereits seit etlichen Monaten (bis zu einem halben Jahr) auf eine Gerichtsentscheidung warten. Solange das Verfahren läuft, dürfen sie noch arbeiten, jedoch keine Ausbildung machen. Sollte die Klage erfolglos sein, erhalten sie eine Ausreiseaufforderung. Kommen sie dieser Aufforderung nicht nach, erhalten sie eine Duldung, da in den Iran nicht abgeschoben wird (unsicheres Herkunftsland). Duldung bedeutet ein Dach über dem Kopf in einer Gemeinschaftsunterkunft, nur noch150 Euro im Monat statt 411 und keine Arbeitserlaubnis mehr. Da kann man eigentlich nur mit dem Kopf schütteln.
Ebalta hat zwei Flüchtlinge in Arbeit gebracht. Hamid Soltani, Anfang 30, kommt aus dem Iran und ist ausgebildeter IT-Ingenieur. Der Vater eines 9-jährigen Sohnes engagiert sich ehrenamtlich bei der Nachbarschaftshilfe „Wegwarte“. Das Kunststoff-Unternehmen überzeugte er beim Probearbeiten mit seinen Fähigkeiten und bekam einen Arbeitsvertrag angeboten. In der Regel verhindert ein Arbeitsvertrag nicht die Abschiebung. Die Politik scheut sich nicht davor, den Unternehmen einen voll eingeplanten Mitarbeiter zu entziehen und die mühsam aufgebaute Integrationsarbeit wieder zunichte zu machen. Mohamad Al Jahed hat als Flüchtling aus dem Bürgerkriegsland Syrien bessere Chancen auf ein längerfristiges Bleiberecht. Auch wenn die Bundesregierung ihre Zuwanderungsbestimmungen inzwischen verschärft hat. Nach seinem Abitur im naturwissenschaftlichen Zweig hat er ein Semester Chemie an der Universität Damaskus studiert. Mit seiner Frau Atta ist er aus der Heimat geflohen, in der Hoffnung auf ein neues Leben in Sicherheit und Frieden. Inzwischen sind sie Eltern einer Tochter, Asmaa, geworden. Nach einigen Wochen Praktikum in der Produktion von Ebalta konzentriert Mohamad Al Jahed seine Anstrengungen auf den Integrationskurs. Im September fängt er eine Ausbildung als Produktionsfachkraft Chemie zur weiterführenden Qualifikation an, um berufsspezifische Fähigkeiten zu erwerben. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland kann der Mann sein Glück kaum fassen. sis