Ein Gespräch mit Matthias Böhler und Christian Orendt über Kunst und Künstlerdasein
ROTHENBURG – Klettert man an einem warmen Sommerabend bedachten Schrittes vom Spitaltor kommend die berühmten Treppen hinab, fühlt man sich Stufe um Stufe, die man hinter sich lässt, immer mehr wie in einem Disney-Film. Beinahe unwirklich fühlt es sich an, wenn vor einem, gefühlt bombastisch groß und dennoch durch ein Treppchen hier und eine Terrasse dort so schön verzweigt, verschnörkelt und filigran etwas erscheint, das heute wohl ein jeder in Rothenburg als Tagungsstätte, Herberge, vielleicht Veranstaltungsort, schon einmal kennen gelernt hat.
![Matthias Böhler und Christian Ohrendt arbeiten vor Ort in Rothenburg an einer Skulpturengruppe für den Wildbad-Park.Foto: Böhler & Orendt]()
Matthias Böhler und Christian Ohrendt arbeiten vor Ort in Rothenburg an einer Skulpturengruppe für den Wildbad-Park. Foto: Böhler & Orendt
In den letzten Jahren haben zahlreiche, oft kostenlose Kulturveranstaltungen und auch viele mutige, alternative Ideen dem Ort zusätzlich eine neue Seele gegeben, haben ihm mehr und mehr Leben eingehaucht. Das neu konzipierte und auf über zehn Jahre angelegte „LandArt“-Projekt, könnte ein weiterer dieser mutigen Schritte sein. In jedem Jahr werden ausgewählte Künstler im Wildbad leben, arbeiten und damit einhergehend vor Ort Kunstwerke entstehen lassen (wir berichteten).
Matthias Böhler und Christian Orendt sind die ersten und arbeiten schon seit Juni an einer Skulpturengruppe, die später einmal im Wildbad-Park ihr Plätzchen finden soll. Für Stephan Michels, stellvertretender Leiter der Tagungsstätte, eine Art „Heureka-Erlebnis“. Man habe immer den Eindruck Künstler kommen, stellen eine Skulptur auf und fertig. „Nun fertigen zwei Künstler etwas direkt vor Ort an, führen Beobachtungen und Recherchen durch, beschäftigen sich mit der Umgebung. Das ist hochinteressant.“ Im Interview erzählen die beiden nun wie es sich als Künstler so lebt, warum sie in Rothenburg gelandet sind, was Kunst so besonders macht und geben nicht zuletzt ein paar Erfolgstipps.
Ihr habt bereits in Wien oder Berlin ausgestellt, wart über ein Stipendium einige Monate in den USA. Wie landet man da auf einmal im Rothenburger Wildbad?
Christian Orendt: Das war eigentlich ganz einfach. Wir haben irgendwann einen Anruf bekommen und wurden gefragt, ob wir das denn nicht gerne machen wollen.
Und dann habt Ihr gleich ja gesagt?
Orendt: Wir haben kurz überlegt und uns natürlich mit den Parametern und Voraussetzungen auseinander gesetzt. Aber dann fanden wir das eigentlich recht schnell ganz gut und haben Ja gesagt.
War das am Ende eine Entscheidung für das Projekt oder eine für einen Ort, der wie dafür gemacht scheint einmal etwas auszuspannen?
Orendt: Es ist ein bisschen eigenartig. Der Ort vermittelt schon eine Urlaubsatmosphäre. Andererseits haben wir uns mit dem Projekt allein handwerklich ziemlich viel aufgeladen. Im Endeffekt arbeiten wir sogar mehr als wir es von zuhause aus tun würden. Das liegt wohl ein bisschen an der Abgeschiedenheit. Sind wir in Nürnberg oder Frankfurt, ruft abends mal jemand an und man geht noch weg. Hier geht man nach dem Abendessen dann eben nochmal ins Atelier.
Euer Projekt setzt sich mit der „Rast auf der Flucht vor der Auseinandersetzung mit der Abgefucktheit des Ist-Zustands“ auseinander. Das bedarf einer genaueren Erklärung…
Orendt (lacht): Ja, die Figurengruppe soll den Eindruck von Reisenden vermitteln, die einen verschiedenen Lifestyle pflegen, was wohl über deren verschiedene Kleidungsstile erkennbar sein wird. Nun sind jene auf der Flucht vor sich selbst in einer Reisegruppe gelandet. Und diese Gruppe wiederum ist irgendwo im Wald gelandet und kommt nicht mehr weiter. Es gibt erstmal einen Stopp. Und dieser Stopp ist für die Personen eine Art Reflexionsmoment. Sie sind gezwungen nachzudenken, über sich selbst, über den Zustand der Welt.
Was versprecht Ihr Euch von der Arbeit hier?
Orendt: Was wir so auf diese Weise noch nie gemacht haben ist eine Figurengruppe zwischen Bäume mitten in die Natur zu stellen und beides miteinander interagieren zu lassen. Das ist schon etwas anderes als wenn wir in einem Museumsraum arbeiten, der weiße Wände hat. Die Arbeit muss in und mit der Umgebung wirken. Das ist interessant.
Matthias Böhler: Für uns war es auch eine Art Voraussetzung für die Annahme des hiesigen Stipendiums, dass wir hier eine Arbeit machen, die im Wildbad verbleibt und eine Spur hinterlässt. Wir wollten unbedingt mit dem Ort, mit dem Park und eben im öffentlichen Raum arbeiten.
Wie muss man sich Euer Künstlerdasein vorstellen? Kann man da von einer Art Nomadenleben sprechen?
Böhler: Es gibt schon Zeiträume in denen wir hier und dort hinfahren, um Arbeiten in den verschiedensten Institutionen aufzustellen oder im Rahmen von Stipendien irgendwo Zeit zu verbringen. Aber es zieht eigentlich immer die Werkstatt mit. Dementsprechend gibt es viel Kontinuität.
Orendt: Es gibt verschiedene Phasen. Als wir angefangen haben zu arbeiten war ich gerade in Leipzig und Matthias in Wien. Wenn wir gemeinsam arbeiten wollten, haben wir uns in einer dieser Städte ein Atelier angemietet. Dann gab und gibt es Zeit-räume, in denen wir durch Stipendien an anderen Orten sind. Seit sechs Jahren haben wir nun ein Atelier in Nürnberg, was dadurch entstand, dass wir beide an der dortigen Kunstakademie unterrichtet haben. Letztes Jahr waren wir im Rahmen eines Reisestipendiums an verschiedenen Orten in den USA. Das war zu zweit vor allem finanziell nicht ganz leicht.
Was die Frage aufwirft: Wie finanziert Ihr eigentlich euren Lebensunterhalt?
Böhler: Das ist ganz unterschiedlich. Sowohl durch den Verkauf von Arbeiten als auch durch Budgets von Institutionen oder durch Stipendien und Preise. Und die Projekte, die wir machen, werden eigentlich immer von Institutionen oder Ausstellungshäusern bezahlt. Wir arbeiten viel mit Non-Profit-Organisationen, Stiftungen, Museen und Kunsthallen. Privatleute sind eher schwer zu finden. Die Vorstellung, dass man von früh bis spät Arbeiten verkauft, entspricht leider nicht ganz der Realität.
Kunst lebt bekanntlich auch und wohl vor allem von Ideen. Woher nehmt Ihr Eure?
Böhler: Das ist kontextabhängig. Oft sind es alltägliche Dinge wie Nachrichten, die einem Ideen bringen. In bestimmten Situationen kramt man diese Ideen dann wieder heraus und erschafft daraus im richtigen Moment ein Kunstwerk.
Orendt: Ich würde sagen, es ist ein Zusammenspiel von allgemeinen Überlegungen, die man ohnehin die ganze Zeit anstellt, und der konkreten Situation. Hier in Rothenburg fallen sofort die vielen Reisenden auf. Deshalb haben wir uns hier für die Reisegruppe als Kunstwerk entschieden. An einem anderen Ort wäre es vielleicht eine andere Arbeit geworden. Und das Medium mit dem wir arbeiten ergibt sich immer stark aus der Geschichte, die wir machen wollen. Also nicht: Ich bin Holzbildhauer und danach überlege ich mir was ich machen will. Wir überlegen uns was wir machen wollen, und schauen dann wie.
Was bedeutet für Euch Kunst?
Orendt: Kunst ist eine bestimmte Art zu kommunizieren. Das ist wie in der Musik. Man kann einfach irgendwas erzählen oder man kann ein Lied darüber singen. Und nochmal anders als in einem Lied kann man etwas eben auch durch Bilder und Skulpturen darstellen.
Ihr arbeitet viel mit surrealen Welten, übt damit auch immer wieder Kritik am Kapitalismus.Was wollt Ihr mit Eurer Kunst aussagen?
Orendt: Da sind diese beiden Schlagworte eigentlich schon eine ganz gute Zusammenfassung. Es gibt immer irgendwie einen politischen Hintergrund. Und wir verpacken den gerne in Metaphern. Wir haben immer Geschichten im Kopf oder Personen, die unsere Überlegungen transportieren. Was wir dagegen nicht mögen ist politische Kunst die nach dem 1:1-Prinzip funktioniert, sprich Zeitungsseite auf den Kopierer legen und an die Wand hängen. Dieser politische Aktivismus ist sicher wertvoll, aber weshalb muss man das als Kunst verkaufen?
Habt Ihr zum Abschluss noch einen Tipp für junge Menschen, die in der Künstlerszene Fuß fassen wollen?
Orendt: Ganz viel anschauen, früh versuchen viel kennen zu lernen und ganz wichtig: Auf sich selber hören, wie viel Zeit man bereit ist in sein Hobby oder eben seinen Beruf zu stecken. Will man wirklich einen großen Teil seines Lebens der Kunst widmen? Denn man braucht einfach Leidenschaft, sonst läuft nichts. Das ist nicht nur in der Kunst so. Und es kommt auch auf die eigene Definition von Erfolg an. Will man viel Geld verdienen? Oder will man in erster Linie gute Arbeiten machen? Will man beides? Will man, dass besonders viele Leute diese Arbeiten sehen? Da muss man sich für die Art von Erfolg entscheiden, die einem selbst am wichtigsten ist.
Und wie geht es für Euch nach dem Projekt hier in Rothenburg weiter?
Böhler: Hauptsächlich mit zwei Projekten, an denen wir auch parallel noch arbeiten. Zum einen eine Retrospektiv-Ausstellung in Schweinfurt in der Kunsthalle Ende Februar oder Anfang März 2018. Zum anderen eine Ausstellung in den USA am Halthy Institute in Charleston, South Carolina. Hier werden wir in über zehn Zelten eine große Videoinstallation aufbauen. og