FA-Interviewreihe Standpunkte (21): Carl-Dieter Spranger im Unruhestand
ROTHENBURG – Er stand viele Jahre auf der großen Bühne der Politik und hat in seiner aktiven Laufbahn das wertkonservative Profil der CSU maßgeblich mitgeprägt. Carl-Dieter Spranger, Jahrgang 1939, war Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Verfechter eines starken Staates bei der Kriminalitätsbekämpfung. Es folgte der Aufstieg zum Entwicklungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Ein Leben zwischen Anfeindungen und Anerkennung.
![Beim Treffen mit Nelson Mandela: die wirtschaftlichen Probleme Südafrikas erörtert.]()
Beim Treffen mit Nelson Mandela: die wirtschaftlichen Probleme Südafrikas erörtert.
Manchmal gibt es im Leben Zufälle, die Schicksal spielen können. Als im Januar 1991 Helmut Kohl, „Kanzler der Einheit“, nach der ersten gesamtdeutschen Wahl ein Kabinett zusammenstellte, da fehlte im CSU-Proporz noch einer, der erstens Franke war und zweitens evangelisch. Der damalige Finanzminister Theo Waigel brachte Carl-Dieter Spranger aus dem fränkischen Ansbach ins Gespräch. Und so kam es, dass der damalige Staatssekretär im Bundesinnenministerium bei einer Sitzung in Brüssel plötzlich ans Telefon gerufen wurde. Helmut Kohl war dran und verkündete ihm die Ernennung zum Entwicklungsminister. Der Christsoziale erwarb sich mit seiner Geradlinigkeit und seinem erfolgreichen Wirken Respekt über alle Parteigrenzen hinweg.
Nach der Bundestagswahl 1998 schied er aus der Regierung aus, 2002 aus dem Bundestag. Der 76-Jährige pflegt noch immer gute Kontakte mit der Vereinigung der ehemaligen Bundes- und Europaabgeordneten. Er ist auf dem neuesten politischen Stand. Beim Gespräch mit ihm vergeht die Zeit wie im Flug. Seine Fotoalben zeugen von vielen Reisen, auch in Konfliktregionen mit autoritären Regimen. Oft eine heikle Angelegenheit der Diplomatie.
Was macht der langjährige Bundestagsabgeordnete und Bundesminister in seinem Ruhestand?
Spranger: Langweilig ist mir nie. Mit 76 Jahren achte ich auf eine gesunde Lebensführung mit Sport, Wandern, Gartenarbeit. Ich pflege meine Interessen, lese täglich viele Stunden Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, im Internet. Facebook, E-mail, Twitter meide ich völlig, das schlimme deutsche Fernsehen so weit wie möglich – Fußball ist die Ausnahme. Mündlich wie schriftlich unterhalte ich einen ausführlichen politischen und gesellschaftlichen Meinungsaustausch, reise in Maßen und besuche unterschiedliche Veranstaltungen. Und ich unterstütze meine Frau beim Einkaufen – als winziger Ausgleich für ihre seit 50 Jahren geleistete Arbeit – durch meinen Beruf bedingt – als oft allein gelassene Ehefrau und Mutter. Wir freuen uns an Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln und sind für jeden gemeinsamen Tag dankbar.
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Ein bewegender Rückblick: Carl-Dieter Spranger.
Die Bürde des Ministeramtes mit großer zeitlicher Belastung und viel Stehvermerögen haben Sie hinter sich. Sind Sie froh, keine politische Verantwortung mehr tragen zu müssen?
Spranger: Ja – und zwar ohne Einschränkung. Politik in Deutschland ist heute leider in nie gekanntem Ausmaß vom linken Zeitgeist und die ihn prägenden Medien und Meinungsumfragen beeinflusst. Die Herrschaft der sogenannten „politischen Korrektheit“ hat ein Klima allgemeiner Einschüchterung durch Tabus, Sprachregelung und Ächtung derer geschaffen, die dagegen verstoßen. Für ihre Opfer hat sie Meinungsfreiheit, Achtung der Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz abgeschafft. Wer Kritik und Bedenken über die heutige Masseneinwanderung nach Deutschland äußert, wird schnell als ausländerfeindlicher Rechtsradikaler verleumdet. Bei diesem Umfeld ist mir meine Freiheit, insbesondere Meinungsfreiheit und meine Unabhängigkeit noch mehr wert.
Zurück zur Zeit als parlamentarischer Staatssekretär. Damals lag Ihnen das Asylrecht sehr am Herzen. Sind Sie mit den heutigen Regelungen zufrieden?
Spranger: Die heutigen Asylregelungen sind nicht das Hauptproblem, sondern ihre massenweise Missachtung und ihr Missbrauch. Der Schengenvertrag zur Sicherung der europäischen Außengrenzen und das Dublin-Abkommen (Asylverfahren im EU-Erstaufnahmeland) sind durch das totale Versagen aller EU-Institutionen seit Jahren so außer Kraft gesetzt wie Artikel 16a Absatz II unseres Grundgesetzes, wonach keiner Asylrecht genießt, der aus einem Mitgliedsstaat der EU nach Deutschland einreist. Die Bundesregierung weiß nicht mal, wie viel Einwanderer, darunter Kriegsflüchtlinge, politisch Verfolgte, Scheinasylanten, wirtschaftlich motivierte Migranten und andere Gruppen überhaupt in Deutschland sind. Ein Drittel der Einwanderer verschwindet einfach aus den Aufnahmelagern – das sind Hunderttausende. Die Politik der offenen deutschen Grenzen, der unbegrenzten Einwanderung und ihre Folgen hat mit rechtsstaatlicher Ordnung nichts mehr zu tun. Unter Bundeskanzler Kohl wäre so was undenkbar gewesen.
Sie sind in Leipzig geboren und waren sechs Jahre alt, als die Familie 1945 von den Kommunisten enteignet, vertrieben und vor der Unterbringung in ein Lager nach Ansbach geflohen ist, in die Geburtsstadt der Mutter. Wurde Ihnen seinerzeit als Flüchtling Wertschätzung und Respekt entgegengebracht?
Spranger: Meine Familie wurde mit Anteilnahme, Respekt und Wertschätzung behandelt. Das lag sicher auch daran, dass meine Mutter aus einer angesehenen Ansbacher Familie, meine damals noch lebende Großmutter aus einer ähnlichen Rothenburger Familie, stammten und große Wertschätzung erfuhren. Andere Vertriebene und Flüchtlinge, die keine Familienverbindungen nach Westmittelfranken hatten, hatten es da oft sehr viel schwerer – trotz ihrer schrecklichen Schicksale. Ein Vergleich mit den heutigen Flüchtlingen ist wegen der gewaltigen Unterschiede übrigens falsch.
Sie waren gut in der Schule, haben Abitur gemacht, in Franken studiert und die Karriereleiter erklommen. Haben die heutigen Flüchtlinge aus Syrien, Äthiopien oder Eritrea nicht auch ein menschliches Anrecht auf Unterstützung in unserem Land?
Spranger: Soweit es sich tatsächlich um Kriegsflüchtlinge oder politisch Verfolgte handelt, haben sie natürlich Anrecht auf Unterstützung. Und sie wird ihnen auch umfassend zuteil. Das macht ja die Sogwirkung Deutschlands für die Einwanderung mit aus. Das Problem ist der staatliche Kontrollverlust an den Grenzen und innerstaatlich – und die Masse der illegalen Einwanderer. Als Entwicklungsminister hatten Sie einen Etat von fast vier Milliarden Euro und 550 Mitarbeiter.
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Ist die heutige Entwicklungspolitik noch wichtiger geworden als Wirtschaftspolitik?
Spranger: Entwicklungspolitik als Hilfe zur Selbsthilfe in Entwicklungsländern ist und bleibt wichtig. Ich habe als Entwicklungsminister von 1991 bis 1998 immer wieder auf die Bekämpfung von Fluchtursachen durch Entwicklungspolitik hingewiesen und praktiziert. Damals wurde dies allerdings nicht so ernst genommen. Heute sollte man keine Illusionen verbreiten – die Völkerwanderung nach Europa ist mit noch so viel aufwendiger Entwicklungspolitik allein nicht zu begrenzen. Richtige Wirtschafts-, Außen-, Sicherheits-, Strukturpolitik und verantwortungsvolles Handeln in Deutchland und Europa sind genauso wichtig.
Welche politische Wertschätzung Sie in ihrer aktiven Laufbahn in der Unionsfamilie genossen, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass Sie einer der wenigen Politiker waren, der in allen Bundesregierungen von Helmut Kohl mit am Kabinettstisch saß. Wie schauen Sie heute – mit dem nötigen Abstand – auf diese Zeit?
Spranger: Mit großer Dankbarkeit, mit Stolz, Zufriedenheit und manchmal mit Staunen, was ich in diesen Jahren erleben und mitgestalten konnte. Es war eine arbeits-, risiko- und chancenreiche Zeit in weltweiter Dimension. Das Schönste und Bedeutendste war der Prozess und das Ereignis der Wiedervereinigung. Helmut Kohl hat mit den friedlichen Demonstranten in der damaligen DDR, mit Michail Gorbatschow und George Bush gegen massive innen- und außenpolitische Widerstände die deutsche Einheit durchgesetzt – für mich als gebürtiger Leipziger besonders bewegend.
Mit ihrem persönlich Erlebten könnten Sie ein Buch füllen – als wertvolles Zeugnis einer Epoche. Spielen Sie mit dem Gedanken, Ihre Memoiren zu schreiben?
Spranger: Das Bedürfnis habe ich nicht. Fritz Zimmermann hat mit „Kabinettstücke“ ein tolles Buch über die Politik mit Strauß und Kohl geschrieben und dabei aus dem Nähkästchen geplaudert. Das Interesse war mäßig. Ich spare mir die Mühe, mein politisches Leben zu erklären. Mein Archiv liegt bei der Hans-Seidel-Stiftung.
Sie sind 1968 der CSU beigetreten. Das war eine Zeit harter, sogar erbitterter politischer Auseinandersetzungen.
Spranger: Ich bin wegen Strauß und seiner kämpferischen und mutigen Politik in die CSU eingetreten. Ich war damals als Staatsanwalt tätig und habe unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaates und des inneren Friedens die linksextremistischen gewalttätigen Exzesse mit großer Sorge und Empörung erlebt.
Ist die CSU noch Ihre politische Heimat?
Spranger: Ja – aber mit Abweichungen. Den Ausstieg aus der Kernenergie, die praktische Abschaffung der Wehrpflicht, die Rente mit 63, Frauenquoten, die doppelte Staatsbürgerschaft, die Euro-Zonen- und Einwanderungspolitik und anderes trage ich nicht mit. Die CSU hat erst spät zur Masseneinwanderung eine eigene Position bezogen. Aber sie kann sich gegenüber den Kurs von Angela Merkel, der CDU und der SPD nicht durchsetzen. Merkels Maßstab sind auch hier der linke Zeitgeist, die ihn prägenden Medien und entsprechende Meinungsumfragen. Verantwortungsvolle Politik hingegen bedeutet auf Realität und Tatsachen fußende Führung, Entscheidung und Umsetzung – in einem kritischen Sinne auch gegen die veröffentlichte Mehrheitsmeinung. sis