Porträts in Wort und Bild im Rothenburger Bürgerheim
ROTHENBURG – Ein Besuch lohnt sich: Die Ausstellung „Mensch, Alter, Respekt“ in Wort und Bild mit schönem Begleitprogramm im Erdgeschoss des Bürgerheims bringt Alt und Jung zusammen.
Begegnungen zwischen den Generationen zu fördern, war einer der Impulse zu diesem gemeinsamen Projekt von Bärbel Andresen und Willi Pfitzinger. Ein weiterer: Den Lebensort für pflegebedürftige ältere Menschen kennenzulernen, die Fähigkeit zuzuhören und sich in ihre Situation hineinzuversetzen. Denn die älteren Menschen von heute sind keine anderen, als die, die gestern die Jungen waren. Und die Jungen von heute sind die Alten in einigen Jahren mit ihren Erfahrungen und Erlebnissen, die sie geprägt haben.
Das Leben schreibt lauter besondere Geschichten. Umso älter man wird, desto reicher ist die Zahl der Kapitel. Neunzehn Seniorinnen und Senioren hat Bärbel Andresen interviewt – in mehreren Etappen. Sie erlebte Nähe und Vertrauen. Die Gespräche und Besuche empfand sie „als große Schätze“. Um auch der jüngeren Generation diese Möglichkeit erlebbar zu machen und nicht nur übereinander, sondern miteinander zu reden, entstand die Idee, die Ausstellung um den Dialog zu erweitern.
![Die Ausstellung ist eine Hommage an das Alter: eine gelungene Gemeinschaftsleistung von Bärbel Andresen und Willi Pfitzinger.]()
Die Ausstellung ist eine Hommage an das Alter: eine gelungene Gemeinschaftsleistung von Bärbel Andresen und Willi Pfitzinger.
Die Schulleiter waren von den Zielen des Projekts rasch zu überzeugen und bereit, sich mit ihrer Schule zu beteiligen. Sie fanden engagierte Lehrkräfte, die sich mit ihren Schülern gemeinsam Vorhaben einfallen ließen. Sie überlegten, was sie zusammen mit älteren Menschen tun möchten, um sich gegenseitig ein wenig kennenzulernen, gemeinsam Freude zu haben, gute Erinnerungen mit ins weitere Leben zu nehmen, möglicherweise sogar auch mal wieder anzuknüpfen und eine Begegnung fortzusetzen.
Das Begleitprogramm ist sehr individuell gestaltet. Musik, Bewegungs- und Brettspiele, Gedichte, nachspüren von Sprichwörtern, Besuch des Gospelchores von Heilig Geist in den Osterferien und Auftritt des Musikers Oswin Voit bringen die Generationen in der Heim-Cafeteria oder im Ausstellungsflur einander näher. Die berührenden Porträts von Willi Pfitzinger ziehen den Blick auf die Menschen und machen die Würde des Alters sichtbar. Der Betrachter blickt ihnen ins Gesicht, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Die Aufnahme von Rolf Oerter, dessen Bild in der Ausstellung zu sehen ist, entstand in seinen letzten Lebenstagen und ist deshalb ein besonderer Moment der Erinnerung.
Hildegard Kappert-Meyer ist inzwischen in ihre Heimatstadt umgezogen. Sie wäre gern noch mal nach Rothenburg gekommen und hatte schon Pläne geschmiedet, aber ihre Gesundheit ließ dies nicht mehr zu. Sie hat dreißig Jahre in Rothenburg gelebt und ist „dankbar für diesen Abschnitt“ ihres Lebens, mit Erinnerungen an schöne Erlebnisse und liebe Freunde. Beim Auftakt des Projekts, der Vernissage, fanden sich rund 120 Besucher im Bürgerheim ein. Für die musikalische Umrahmung sorgten Michael Wagner, er steht kurz vor Vollendung seines 90. Lebensjahres, und Jürgen Strauß. Hausleiterin Anne Janisch und Oberbürgermeister Walter Hartl würdigten das Engagement der Initiatoren und aller Beteiligten.
Die Ausstellung lädt dazu ein, Geschichte und Geschichten von Menschen zu erleben. Der eine oder andere Betrachter mag dabei vielleicht auch seine eigene Geschichte Revue passieren lassen, mag kleinere oder größere Parallelen zu seiner eigenen Lebensgeschichte erkennen. Mancher fühlt sich vielleicht versetzt in die Welt der Eltern, Großeltern, Urgroßeltern oder lernt ein bekanntes Gesicht näher kennen.
Zu lesen sind Auszüge aus bewegenden Lebensgeschichten von beeindruckenden Menschen, die zeigen, wie sie mit ihren Aufgaben gewachsen sind. Einige Beispiele: Michael Wagner wurde 1926 in Lechnitz in Siebenbürgen geboren. Er stammt aus einer Bauernfamilie und wurde Musiker. Zunächst lernte er Trompete. Mit 17 Jahren bekam er die Einberufung zur SS – und beging Fahnenflucht. Seine Schulfreunde, die in Wien zum Einsatz kamen, sind alle gefallen. Später arbeitete er im Fuhrbetrieb seines Vaters in Oestheim und nach der Umsiedlung in Endsee. Seine Frau war Schneidermeisterin und führte das Hutgeschäft in der Hafengasse. Michael Wagner musizierte in der Rothenburger Stadtkapelle, war Mitbegründer der „Frankenjäger“, spielte Geige, Klarinette, Saxophon, Trompete und Flügelhorn. Sechzig Jahre stand er auf der Bühne. Bei Helmut Weigelt hat er dirigieren gelernt. Die Musik hat ihm in seinem Leben viel geholfen: „Ich war mit Leib und Seele dabei“.
![Gülten Daghoglu: seit 1971 in Rothenburg.]()
Gülten Daghoglu: seit 1971 in Rothenburg.
Der frühere Forstmeister der Stadt Rothenburg, Egon Baur, erblickte 1927 in Rottweil am Neckar das Licht der Welt. Kindheit und Jugend waren geprägt durch Krieg und Gefangenschaft bei den Amerikanern. Abgemagert und in zerschlissener Gebirgsjägeruniform kam der damals 18-Jährige Ende 1945 heim und arbeitete zunächst in der Entwicklungshilfe. In Afrika erlebte er die letzten Jahre der Kolonialzeit, dann in Afghanistan fünf Jahre lang den Orient. Seine berufliche Laufbahn in Rothenburg nannte er eine „gute Wahl“. In dem damaligen Oberbürgermeister Alfred Ledertheil hatte er „einen wohlwollenden Vorgesetzten, wofür ich ihm dankbar bin“.
Mönke Wintermeier, 1938 in Halle geboren, war sechs Jahre alt, als die Familie nach Rothenburg flüchtete. Das Wasser musste vom Herterichsbrunnen geholt werden. Sein Vater war Komponist, die Mutter Schauspielerin und konnte gut singen. Die Eltern gaben Hauskonzerte im Wohnzimmer. Die Kinder standen auf den Stockwerken verteilt, um die Gäste zu empfangen und zu geleiten. Mönke Wintermeier entwickelte sich zum Kunstpfeifer. Seine Schwester Soetkin begleitete ihn manchmal am Klavier bei seinen Auftritten. Er pfiff im „Eisenhut“ vor Leuten vom Fernsehen und bekam einen Auftrag für die Sendung „3 nach 9“. Anfang der 60er Jahre heiratete er seine Frau Hannelore in der Jakobskirche. Sie war Klavierlehrerin und hatte später die Boutique am Plönlein. Er führte sein Geschäft im Dürerhaus. Gern erinnert er sich auch an seine Zeit beim Festspiel. Im „Meistertrunk“ spielte er den Mönch, „eine kleine, aber schöne Rolle“.
Lore Lerch, Jahrgang 1926, stammt aus dem Geschäftshaus der Wollverwertungsfirma Hermannsdorfer und tanzte beim ersten Schäfertanz nach dem Krieg. Zehn Jahre war sie dabei. Die Schafwolle lagerte im Krieg im Dominikanerinnenkloster und wurde mit der Bahn nach Neu-Ulm transportiert und an Fabriken verkauft. Den von Bauern angebauten Flachs brachte Lore Lerch zu Leinenspinnereien. Das Geschäft führte Webstoffe der Marke Ploucquet von Heidenheim und hatte viel Laufkundschaft. Frauen nähten damals selbst – auch Lore Lerch. Sie schneiderte Schürzen, die sie im Geschäft verkaufte. Im Bürgerheim hat Lore Lerch ein neues Zuhause gefunden, nachdem das Leben im eigenen Haus zu beschwerlich wurde.
Anna Behrend, Jahrgang 1921, ging in Oestheim zur Schule. Ihre Eltern betrieben eine Landwirtschaft. Brunnenwasser wurde zum Trinken verwendet, Regenwasser zum Kochen, für den Kaffee und zum Waschen. Gab es kein Regenwasser, wurde ins benachbarte Walkersdorf gefahren, um gutes weiches Brunnenwasser zu holen. Anna Behrend hat drei Kinder großgezogen und ganztags in der AEG gearbeitet. Sie fuhr bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad ins Werk. Wenn es regnete, trug sie zwei Regenmäntel übereinander. Am Wochenende half sie bei ihrer Familie in Lohrbach zusätzlich in der Landwirtschaft. Später zog sie nach Rothenburg und wohnte 35 Jahre im Spitalhof im sogenannten Steinhaus. Jetzt lebt sie im Bürgerheim mit Blick auf ihr früheres Zuhause.
Gülten Daghoglu stammt aus der Westtürkei, wurde 1938 in Aydin geboren, und verlebte ihre halbe Kindheit in Izmir. Sie besuchte ein Mädchen-Institut, erwarb eine höhere Bildung, arbeitete zunächst als Kindergärtnerin, später im Kulturamt und danach als Sekretärin in der Schulverwaltung. Mit ihrem Mann Adnan siedelte sie Anfang der 70er Jahre zu ihrer Schwester nach Rothenburg um. Sie fanden beide Arbeit und nutzten die Wechselschicht bei der AEG, um die Erziehung ihrer drei Kinder zu bewerkstelligen. Vor etwa drei Jahren hat Gülten Daghoglu kurz hintereinander ihren Mann, ihre deutsche Schwiegertochter und ihre Schwester verloren. Ihr Mann ist auf dem islamischen Grabfeld des Rothenburger Friedhofs begraben.
Auch zwei Ehepaare erzählten Bärbel Andresen ihre Geschichte: Karl und Gertrud Mönikheim, Johannes und Jutta Kastner. Letztere haben sich in der Katholischen Jugend kennengelernt und 1963 geheiratet. 1945 war Johannes Kastner im Alter von neun Jahren mit seiner Mutter, den beiden Brüdern, Oma und Tante aus Liegnitz in Niederschlesien geflohen. Der Vater bekam nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft durch einen amerikanischen Gouverneur eine Anstellung als Postbeamter in Rothenburg. Johannes Kastner begann mit 14 Jahren eine Bau- und Schlosserlehre bei Fritz Pflüger, schloss die Meisterschule ab und übernahm 1967 die Schlosserei seines Lehrherrn und Arbeitgebers. Jutta Kastner, die 1940 in Elsenfeld zur Welt kam, fand eine Anstellung bei der Kunsthandlung Geissendörfer in Rothenburg. Ihr Vater arbeitete als Koch in der „Glocke“. Das Ehepaar Kastner genießt den Ruhestand und freut sich, dass Kinder und Enkel am Ort leben und eine große Familie bilden, wenn alle zusammenkommen.
Der gebürtige Wettringer Karl Mönikheim und seine Frau Gertrud, eine Rothenburgerin, haben sich 1952 im Saal der „Glocke“ kennengelernt. Beide tanzten gerne und waren im Verband landwirtschaftlicher Fachschulabsolventen. Sie heirateten 1957 und waren bis Anfang der 60er Jahre mit ihrem Betrieb in der Neugasse. Alle vierzehn Tage musste Mist gefahren werden. Die Fahrt durch die Stadt war aufwändig und umständlich. Deshalb siedelten sie aus in den Kaiserweg, wo sie noch heute leben – zusammen mit der Familie des älteren Sohnes, der den Betrieb vor einigen Jahren übernommen hat. sis