Dokumentarfilmgruppe um Thilo Pohle erhielt Gottlob-Haag-Ehrenring
ROTHENBURG – „Der innere Kritiker streckte seine Waffen, er hisste die weiße Flagge“, kommentierte Mundartdichter Manfred Kern seine Entscheidung, Thilo Pohle und dessen engagierte Dokumentarfilmgruppe als nächste Träger des Gottlob-Haag-Rings auszuwählen. Es konnten einfach keine verdienteren Nachfolger gefunden werden. In einer Feierstunde wurde die schmückende Kulturauszeichnung im Rokokosaal des Wildbads übergeben.
![Manfred Kern (3.v.l.) gab den Gottlob-Haag-Ring an Thilo Pohle und seine Dokumentarfilmgruppe weiter. Foto: Scheuenstuhl]()
Manfred Kern (3.v.l.) gab den Gottlob-Haag-Ring an Thilo Pohle und seine Dokumentarfilmgruppe weiter. Foto: Scheuenstuhl
„Des hast guad gmacht, Bua“, wäre wohl Gottlob Haags Lob für seine Wahl gewesen, ist sich Manfred Kern sicher, der ganz im Sinne der Auszeichnung seine Rede in Mundart hielt. Thilo Pohle war Manfred Kerns Deutschlehrer. Dessen, nach eigener Aussage, lange und breite Ausführungen, warum er dieses oder jenes Thema in der Prüfung so nicht bearbeiten könne, stießen bei dem Pädagogen zum Glück nicht auf Ignoranz.
Im Gegenteil, mit viel Feinsinn habe Thilo Pohle gemerkt, dass in dem Jungen „ein Pflänzchen keimt, das Licht und Schutz brauchte“ – und das bekam er von ihm. Mit der Verleih-ung des Gottlob-Haag-Rings hätte er jetzt seinem einstigen Unterstützer etwas zurückgeben können. Der Kreis hätte sich geschlossen. Aber das Schmuckstück werde nicht „aus Dankbarkeit, sondern für Leistung“ überreicht, meldete sich Manfred Kerns innerer Kritiker zu Wort.
Dass Thilo Pohle ihm im Laufe seiner Schulzeit die eine oder andere Eins beschert hatte, kann allerdings nicht wirklich als kulturelle Leistung betrachtet werden. Also galt es Thilo Pohles Lebenswerk außerhalb des schulischen Pflichtprogramms unter die Lupe zu nehmen.
Es gibt wohl nur wenige Menschen, die die Werke der Dokumentarfilmgruppe um Thilo Pohle nicht als aufrüttelnd, informierend, gesellschaftlich wertvoll und einmalig bezeichnen würden. Doch auch hier mahnte der innere Kritiker Manfred Kern zur Sorgfalt: „Verlasse dich nicht auf das Urteil von anderen.“ Deshalb schaute sich Manfred Kern, nach einem zweitägigen Treffen mit Thilo Pohle in seiner Heimat Coburg, dessen Brett-heim-Film „Als der Frieden schon so nah war!“ an.
„Dieser Film zeigt, wie man sich verrechnen kann, wenn die Prämissen nicht stimmten“, erklärte er den vielen Freunden, Bekannten, Weggefährten und ehemaligen Schülern Thilo Pohles, die zur Ringübergabe ins Wildbad kamen. Die „Verblendung und Engstirnigkeit“ der letzten Kriegstage, die die jungen Leute in diesem Film ans Tageslicht bringen und dokumentieren, qualifizieren seiner Meinung nach das Werk zu einem Pflichtprogramm für die jüngste Generation: Der Film komme aus der Schule und soll in die Schulen zurück, so Manfred Kerns Überzeugung.
„Thilo, da habt ihr den Ring“, gab der Mundartdichter das freundschaftlich-lockere Signal für die offizielle Übergabe. Sichtlich berührt nahm Thilo Pohle das Kästchen mit dem ideell bedeutungsvollen Ring entgegen; Mitglieder der Dokumentarfilmgruppe dabei stets an seiner Seite.
An Ausgangspunkt zurück
Denn das ist Thilo Pohle besonders wichtig: Auch wenn er als Gesicht des Projekts gilt, die Auszeichnung gebührt allen Beteiligten, die sich seit vielen Jahren mit Akribie, Kreativität, Feingefühl und Sorgfalt drängenden historisch-gesellschaftlichen Fragen widmen. In seiner Dankesrede findet sich deshalb auch nur selten das Wörtchen „ich“. Mit der Übergabe des Ehrenrings kehre man „wieder an den Ausgangspunkt in Baden-Württemberg zurück“, so Thilo Pohle. Dort wurde vor 35 Jahren in Brettheim der Grundstein für eine „Filmreise rund um die Erde gelegt“. „Eine Dorfgeschichte reiste buchstäblich um die Welt, immer begleitet von Filmschülern“, erinnert sich der pensionierte Pädagoge mit einem Hauch von Ungläubigkeit in der Stimme, angesichts dieser außergewöhnlichen Entwicklungen. Und heute ehren Gottlob Haag und seine Freunde aus Baden-Württemberg eine bayerische Schule – eine weitere „einmalige“ Erfahrung für die Filmgruppe.
Es passt perfekt, dass der Überbringer des Rings ein Grenzgänger sei, „wie die Filmgruppe in den vergangenen 35 Jahren“, so Thilo Pohle. Manfred Kern habe „in bewegender Weise als Nachkriegskind die Folgen einer familiären Auseinandersetzung mit einem Vater der Kriegsgeneration“ erlebt. „Keiner ist deshalb auch glaubwürdiger und kompetenter“, so der neue Preisträger, „die Leistungen der Realschüler zu beurteilen“, denn auch die Geschichte der Filmgruppe sei eine permanente Auseinandersetzung mit dem Erinnern und dem Verschweigen.
Als Dank für die Auszeichnung stellten die Dokumentarfilmschülerinnen Andrea Knäulein, Jessica Melliti, Tina Leyh, Antonia Wanderer und Kerstin Schmidt eine Auswahl von fünf Filmen aus dem Zeitraum von 1982 bis 2016 vor. „Das schönste Kompliment für unsere Arbeit war, dass sie nach den Ausschnitten nicht applaudiert haben“, dankte Thilo Pohle dem Publikum. Ebenso bewegend, aber dennoch mit reichlich Beifall bedacht, war das musikalische Rahmenprogramm von Christine Steinke, Fabian Hörber und Lisa-Marie Henselin.
Das nächste Projekt, auf das sich die Filmgruppe freut, ist ein Film, den indische Jugendliche drehten. Darin interviewten sie Kinder und Jugendliche verschiedener Herkunft, die auf dieselbe Schule gingen. Selbst Experten für das indische Kastenwesen konnten nicht erkennen, welches Kind aus welcher Kaste stammte.
Der Film zeige beeindruckend, so Thilo Pohle, dass bei „gleicher Bildungschance alle Inder gleich intelligent, gleich kreativ und gleich liebenswert“ sind. Zudem dankte er allen Spendern und Unterstützern, die die Arbeit der Filmgruppe erst ermöglichen. Drei Jahre hat Thilo Pohle nun Zeit, sich Gedanken über einen Nachfolger zu machen. Er wüsste schon einen würdigen Kandidaten, lässt er wissen. Doch noch sei die Entscheidung vollkommen offen. mes